Offener Brief – Trennungsfamilien

Jörg Siegel ist 48 Jahre alt, Dipl. Ing. und Vater zweier Töchter. Von der Mutter der älteren Tochter trennte er sich vor 11 Jahren, während deren Schwangerschaft. Nach einigen schweren und teilweise sehr belastenden Jahren, hat er inzwischen einen sehr guten Kontakt zu seiner Tochter. Obwohl die Mutter zwischenzeitlich ca. 250km vom gemeinsamen Wohnort Berlin weggezogen ist, können Vater und Tochter 14tägig das Wochenende und die Hälfte der Ferien gemeinsam verbringen. Jörg lebt mit seiner Partnerin zusammen und betreut mit ihr die gemeinsame 8 Monate alte Tochter. Derzeit befindet er sich in Elternzeit und betreut liebevoll seine kleine Tochter.

Im folgenden Brief, den wir mit seiner freundlichen Erlaubnis hier veröffentlichen dürfen, formuliert er seine Wünsche zu Veränderungen im Familienrecht als offenen Brief an die neue Familienministerin Dr. Katarina Barley.

 

Offener Brief zum Thema Trennungsfamilien

 

Sehr geehrte Frau Ministerin Barley,

trotz Sorgerechtsreform werden nach einer Trennung in Deutschland rechtlich alle Eltern in einen so genannten “alleinerziehenden” und einen unterhaltszahlenden Elternteil unter­schie­den. Es gilt der Grundsatz: „Einer bezahlt, Einer betreut“. So wird regelmäßig ein Elternteil aus dem Alltag der betroffenen Kinder entfernt. Diese scheinbar selbstverständliche und all­tägliche Praxis steht im Widerspruch zu unserem Grundgesetz, denn dort heißt es in Art. 6: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Diese diskriminierende Rechtslage erzeugt, verstärkt oder bestätigt oft beim betreuenden Elternteil den Anspruch, der wichtigere Elternteil zu sein. Beim Unterhaltszahlenden entsteht ein Gefühl der Ausgegrenzt­heit, der Abhängigkeit und des Ausgeliefertseins an den Ex-Partner. So wird rechtlich ein „Kampf ums Kind“ motiviert, denn stets entstehen bei Tren­nungs­­­familien ein „Gewinner“ und ein Verlierer. Immer auf der Verliererseite sind dabei die Kinder, denn sie verlieren einen Elternteil ganz oder teilweise.

Statt nach einer Trennung beiden Eltern mit Hilfe von Jugendamt, Beratungsstellen und letztlich dem Gericht unmissverständlich klar zu machen: “Deine wich­tigste Pflicht ist die Kooperation mit dem anderen Elternteil – trotz aller Verletzungen, Ent­täuschungen etc.” lohnt sich im deutschen Familienrecht in der Regel der Streit für einen kooperations­un­willigen be­treuenden Elternteil. Er kann so erfolgreich gleichwertige Betreuung verhin­dern, mitunter sogar den anderen Elternteil ganz aus dem Leben des Kindes hinausdrän­gen.

Davon zeugen auch die mit erschreckender Regelmäßigkeit statt­finden­den Verurteilun­gen Deutschlands in dieser Angelegenheit durch den Euro­päischen Gerichts­hof für Menschen­rechte, zuletzt wieder im Fall Moog (23280/08 und 2334/10).

Der Rechtsstaat mit all seinen Institutionen und die deutsche Familienpolitik leisten deshalb einen maßgeblichen Beitrag zum Scheitern gemeinsamer Elternverant­wor­tung nach einer Trennung.

Gelingt es Trennungseltern unter diesen Umständen dennoch ihre Kinder gleichwertig zu betreuen, indem sie beispielsweise ein Wechselmodell leben, ist dies eine ganz außer­ordentliche Leistung. Sie überwinden zum Wohle ihrer Kinder nicht nur ihren Tren­nungs­konflikt, sondern kompensieren obendrein noch die fehlenden Voraussetzungen von Fami­lien­politik und Gesetzgebung.

Angesichts der zunehmend hohen Trennungs- und Scheidungsraten kann dieses Thema nicht länger so stiefmütterlich von der deutschen Politik behandelt werden wie bisher. Alle Kinder brauchen beide Eltern, unabhängig ob diese zusammen leben oder sich ge­trennt haben! Es ist Aufgabe der Familienpolitik, endlich die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie sind unsere Familienministerin und tragen dafür Verantwortung.

Vom Europarat wurde am 2. Oktober 2015 einstimmig die Resolution 2079 verabschie­det, welche die Mitgliedsstaaten auffordert, das Wechselmodell als bevorzugte Betreuungs­variante im Gesetz zu verankern. Alle europäischen Länder haben mittlerweile eine ent­sprechende rechtliche Möglichkeit vorgesehen, allein in Deutschland blieb eine angemessene Reaktion bisher aus.

Deshalb ist dringend erforderlich:

  1. Gesetzliche Verankerung des Rechts der Betreuung von Trennungs­kindern durch beide Elternteile. Abbau der durch Rechtslage und Ungleichbehandlung von Tren­nungs­eltern erzeugten Konfliktpotentiale.
  2. Anerkennung und aktive Förderung möglichst paritätischer Beteiligung von Tren­nungs­eltern an Betreuung und Unterhalt. Umsetzung des Prinzips „Beide betreuen, Beide bezahlen“.
  3. Schaffung der notwendigen Voraussetzungen beim Unterhalts-, Melde- und Steuerrecht für gleichwertige Trennungseltern.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Siegel

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