Bild: Linda Nielsen
Dr. Linda Nielsen ist Professorin für Jugend- und pädagogische Psychologie an der Wake Forest University in North Carolina, USA. Sie hat zahlreiche Artikel über die Forschung zur gemeinsamen Elternschaft nach Trennung und Scheidung verfasst und wird häufig von Ausschüssen von Legislativen Organen und Familiengerichten eingeladen, über den Stand der Forschung dort vorzutragen. Für Kopien ihrer Forschungsartikel wenden Sie sich bitte an nielsen@wfu.edu.
Zwischenüberschriften von mir eingefügt
Doppelresidenz – ist das nicht nur in Einzelfällen sinnvoll?
Zusammenfassung der Ergebnisse in 10 Punkten
- Abgesehen von Konstellationen, in denen Kinder Schutz vor einem missbräuchlichen oder vernachlässigenden Elternteil benötigten, noch bevor ihre Eltern getrennt waren – hatten Kinder in allen 54 Studien in Doppelresidenzkonstellationen bessere Ergebnisse als Kinder in sog. ‚Einelternfamilien’. Messungen zum Wohlbefindens umfassten dabei: akademische Leistung, emotionale Gesundheit (Angst, Depression, Selbstwertgefühl, Lebenszufriedenheit), Verhaltensstörungen (Kriminalität, Schulmissbrauch, Mobbing, Drogen, Alkohol, Rauchen), körperliche Gesundheit und stressbedingte Erkrankungen, und Beziehungen zu Eltern, Bonuseltern und Großeltern.
- Babies und Kleinkinder in Doppelresidenz-Familien haben nirgends schlechtere Ergebnisse als die in sog. ‚Einelternfamilien’. Die Aufteilung der Betreuung bei Übernachtungen bei beiden Elternteilen führte nicht zu einer Schwächung der Bindung der jungen Kinder gegenüber einem oder beiden Elternteilen.
- Wenn das elterliche Konfliktniveau berücksichtigt wurde, hatten die Doppelresidenz-Kinder immer bessere Ergebnisse, und dies über mehrere Aspekte des Wohlbefindens. Hoher Konflikt hat die Vorteile der Doppelresidenz nicht übersteuert, so dass die besseren Ergebnisse der Doppelresidenz-Kinder nicht auf ein niedrigeres elterliches Konfliktniveau zurückzuführen sind.
- Auch wenn das Familieneinkommen berücksichtigt wurde, hatten die Doppelresidenz-Kinder unabhängig davon bessere Ergebnisse. Darüber hinaus waren die untersuchten Doppelresidenz-Eltern im Schnitt wirtschaftlich nicht wesentlich bessergestellt als die sog. ‚Einelternfamilien’.
- Beobachtete Doppelresidenz-Eltern hatten in der Regel keine besseren Beziehungen zueinander oder allgemein deutlich geringere Konflikte als Eltern im Residenzmodell. Die mit der Doppelresidenz verbundenen Vorteile ließen sich nicht auf eine bessere Kooperation der Eltern oder auf ein niedrigeres Konfliktniveau der Eltern zurückführen.
- Die meisten Doppelresidenz-Eltern konnten sich anfangs nicht einvernehmlich verständen bzw. lehnten ein Betreuungsarrangement im Sinne einer Doppelresidenz ab. In der Mehrzahl der Fälle widersetzte sich ein Elternteil zunächst einem entsprechenden Betreuungsarrangement und wurde aufgrund von Gerichtsverhandlungen, gerichtlichen Vergleichen- oder beschlüssen zum Einlenken bewegt oder gezwungen. Aber auch unter diesen Voraussetzungen der Einrichtungen der Doppelresidenz zeigten die Kinder in den Studien bessere Ergebnisse als die Kinder in sog ‚Einelternfamilien’.
- Wenn Kinder hohen, anhaltenden Konflikten zwischen ihren Eltern, einschließlich körperlichen Konflikten ausgesetzt sind, haben sie keine schlechteren Ergebnisse in einem Doppelresidenz-Arrangement als in sog. ‚Einelternfamilien’. Die Beteiligung an einem hohen, anhaltenden Konflikt ist für Kinder ist in einer Betreuung in der Doppelresidenz nicht schädlicher als in einem Residenzmodell.
- Die Aufrechterhaltung starker Beziehungen zu beiden Elternteilen, indem Trennungskinder in Doppelresidenzen leben, scheint den durch hohen elterlichen Konflikt und mangelnde Kooperation der Eltern entstehenden Schaden tatsächlich zu kompensieren. Obwohl ein Doppelresidenz-Arrangement die negativen Auswirkungen der häufig im hohen, anhaltenden Konflikt zwischen den getrennten Eltern stehenden Kinder nicht beseitigen kann, so scheint es, dass doch Stress, Angst und Depression der Kinder reduziert wird.
- Doppelresidenz-Eltern sind eher geneigt, abgewandte, selbstbezogene und „parallele“ Erziehungsstile zu pflegen, als sich auf eine gemeinsame Elternebene mit Kooperation und enger Zusammenarbeit einzulassen, in der sie häufig kommunizieren, regelmäßig interagieren, die Haushaltsregeln und -routinen koordinieren müssen, oder gar versuchen, mit einem einheitlichen Stil zu erziehen.
- Keine Studie hat gezeigt, dass Kinder, deren Eltern über Anwälte kommunizieren oder ihre Konflikte zum Sorge- und Umgangsrecht zum Familiengericht eskalieren, schlechtere Ergebnisse erzielen als Kinder, deren Eltern weniger auf Anwälte setzen und deren Konflikte nicht oder weniger oft zum Familiengericht eskalieren