Der Entwurf des Gesetzes zum Scheinvaterregress ist die Folge des Urteils – 1 BvR 472/14 – des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 2015. Das Gericht hatte zu klären, ob im verhandelten Fall die sich aus Artikel 2 GG ergebenden Grundrechte der Mutter bezüglich des Schutzes der Persönlichkeit und der Intimsphäre höher wiegen, als der Regressanspruch des Scheinvaters, der sich nach erfolgreich angefochtener Vaterschaft nach § 1607 Abs. 3 BGB ergab.
Im genannten Urteil erklärt das Gericht, dass im untersuchten Fall der Anspruch der Mutter auf Schutz der Intimsphäre höher zu bewerten sei, da der Scheinvater aus verschiedenen Gründen Zweifel an der Vaterschaft hätte haben können , und es ihm somit unbenommen gewesen sei, direkt nach der Geburt einen Vaterschaftstest durchzuführen. Zudem wurde er niemals von der Mutter des Kindes gedrängt die Ehe mit ihr einzugehen oder die Vaterschaft anzuerkennen, was er dennoch tat.
Das Bundesverfassungsgericht stellt zutreffend fest, dass es keine rechtliche Regelung gibt, nach der die Mutter des Kindes zur Durchsetzung des dem Scheinvater nach § 1607 Abs. 3 BGB zustehenden Regressanspruches verpflichtet sei. Eine solche Verpflichtung könne sich im Einzelfall ergeben, die Voraussetzungen lagen im konkreten Fall jedoch nicht vor.
Das Verfassungsgericht selbst erklärt, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Gesetzesänderung erforderlich ist, wenngleich „der Gesetzgeber den Regressanspruch durchsetzungsschwach ausgestaltet hat, indem er es unterlassen hat, diesen durch einen entsprechenden Auskunftsanspruch zu flankieren“ (– 1 BvR 472/14 –). Das Verfassungsgericht führt weiter an, dass der gesetzlich geregelte Regressanspruch, obwohl er häufig nur durch die Auskunft der Mutter durchsetzbar ist, nicht zwangsläufig ins Leere laufen muss, da der Scheinvater ggf. in der Praxis die Identität des biologischen Vaters bereits kennt oder durch das Kind erfährt.
Aufgrund dieses Urteils entwickelte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz einen Entwurf für eine Gesetzesänderung, nach der ein Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter des Kindes geregelt werden soll. Dieser Auskunftsanspruch wird im Entwurf durch die Zumutbarkeit der Auskunft für die Mutter begrenzt, wobei bewusst auf Fallbeispiele verzichtet wird. Hiermit werden dem Anspruch enge Grenzen gesetzt, da es der Mutter bereits unzumutbar oder unmöglich wäre, die erforderliche Auskunft zu erteilen, wenn ihr z.B. die Identität des biologischen Vaters nicht bekannt ist, bzw. sie erklärt sich nicht zu erinnern.
Selbst wenn die Mutter Auskunft über den vermuteten biologischen Vater erteilt, obliegt es weiterhin dem Scheinvater, seinen Regressanspruch selbst durchzusetzen. Hierfür ist zunächst eine festgestellte Vaterschaft des genannten biologischen Vaters erforderlich. Da der biologische Vater in vielen Fällen die Vaterschaft schon wegen der dadurch drohenden Regressforderungen selbst nicht anerkennen wird, müsste zur Durchsetzung der Regressforderung eine Vaterschaftsfeststellung nach §1600d BGB betrieben werden. Antragsberechtigt sind hierzu nach §172 FamFG das Kind, die Mutter und der mutmaßliche biologische Vater. Wenn keine dieser drei Parteien eine Vaterschaftsfeststellung beantragt, läuft der Anspruch des Scheinvaters also trotz Auskunft über den mutmaßlichen biologischen Vater des Kindes ins Leere, da er selbst keine Vaterschaftsfeststellung beantragen kann. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ändert an diesem Mangel nichts.
Wie durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, ist der Regressanspruch des Scheinvaters schwach ausgestattet. Der Anspruch wird zusätzlich durch den Gesetzentwurf auf einen Zeitraum von 2 Jahren beschränkt. Begründet wird die zeitliche Einschränkung damit, dass es andernfalls „zu einer unangemessenen monetären Rückabwicklung des Familienlebens für viele Jahre“ kommen könnte. Diese Befürchtung ist nachvollziehbar, da es sich unter Umständen um lange Zeiträume handelt in denen der Scheinvater dem Kind Unterhalt gewährt hat, so dass sich leicht Beträge von 100.000EUR oder mehr anhäufen können. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Scheinvater tatsächlich mit dem Kind in einer Familiengemeinschaft gelebt oder nach einer Trennung Umgang mit dem Kind gepflegt hat. Jedoch ist es ist es für Väter nach einer Trennung häufig ausgesprochen schwer ihren Umgangsanspruch durchzusetzen und am Leben des Kindes weiterhin angemessen teilzuhaben. Selbst wenn sie Umgang haben, müssen Väter die damit verbundenen Kosten, die ebenfalls erheblich sein können, zusätzlich zum Unterhalt tragen. Die zeitliches Begrenzung wird im Entwurft damit begründet, dass der Regress wegen des gelebten Familienlebens nur begrenzt gefordert werden könne. Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar, da der betreuende Elternteil nach einer Trennung gemäß § 1606 Absatz 2 BGB eben mit der Begründung „Der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes.“ von der Leistung von Barunterhalt befreit wird. Der gleiche Sachverhalt dient nun bezogen auf einen Scheinvater der Begründung, dass er zu Unrecht gezahlten Unterhalt nicht zurückfordern kann.
Weitere ungerechtfertigte finanzielle Belastungen könnten sich für den Scheinvater unter Umständen ergeben haben, weil er nach §1615I BGB auf Unterhaltszahlungen für die Mutter des Kindes in Anspruch genommen wurde, weil die Mutter wegen der Betreuung des Kindes durch sie von ihm unterhalten wurde oder weil er mit ihr wegen der Schwangerschaft, im Vertrauen es handele sich um sein Kind, die Ehe eingegangen ist. Ein hieraus ggf. entstehender Regressanspruch wird durch das Gesetz nicht geregelt. Auch wenn dies im Falle des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht relevant war, sind Regelungen diesbezüglich unerlässlich.
Durch die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft wird das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Scheinvater und Kind aufgelöst. Diese Änderung hat zur Folge, dass das Kind, für das der Vater über Jahre hinweg Unterhalt geleistet hat, im Falle einer späteren Bedürftigkeit des Vaters, diesem keinen Unterhalt mehr schuldet.
Bei den meisten Diskussionen zum Gesetzentwurf werden das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre der Mutter den finanziellen Ansprüchen des Scheinvaters gegenübergestellt. Für betroffene Männer ist es jedoch ein äußerst traumatisches Ereignisse im Leben, mit der Tatsache konfrontiert zu werden, dass das Kind, das sie lange Jahre für ihr eigenes gehalten haben, nicht von ihnen abstammt. In vielen Fällen erfahren diese Männer von ihrer Scheinvaterschaft erst im fortgeschrittenen Alter. Nicht selten brechen damit komplette Lebenskonzepte zusammen. Eigene Nachkommen zu haben ist dann häufig nicht mehr möglich. Ähnlich betroffen sind die Großeltern des Kindes. Auch diese haben jahrelang fälschlicherweise ein Kind für ihr Enkelkind gehalten, mit dem sie nicht verwandt waren.
Oft wollen diese Männer aus Angst vor den psychischen Folgen gar nicht erfahren, dass es sich nicht um Ihr Kind handelt, geschweige denn, wer der eigentliche Vater des Kindes ist, da sie eine wechselseitige enge emotionale Bindung zum Kind aufgebaut haben. Auf dieses emotionalen Auswirkungen wird jedoch keine Rücksicht genommen. Die Mutter kann den Umstand der Scheinvaterschaft jederzeit offenbaren und muss nach vorliegender und geplanter Rechtslage nicht mit Konsequenzen rechnen.
Auch dem biologischen Vater wird durch die Verheimlichung der tatsächlichen Vaterschaft durch die Mutter die Möglichkeit genommen, aktiv an der Entwicklung seines Kindes teilzuhaben. Stattdessen sieht er sich bei Bekannt werden der Vaterschaft ggf. mit Regressforderungen des Scheinvaters konfrontiert. Diese Regressforderung gilt rückwirkend, obwohl Kindesunterhalt nach §1613 Absatz 1 BGB erst zu zahlen wäre nachdem die Aufforderung zur Auskunft zu seinem Einkommen und Vermögen, zum Zwecke der Feststellung der Unterhaltsverpflichtung erfolgt ist. Durch die Regelung zum Scheinvaterregress wird der Schutz des biologischen Vaters vor Unterhaltszahlungen für die Vergangenheit, alleine durch die Inanspruchnahme des Scheinvaters auf Kindesunterhalt durch die Mutter ausgehebelt.
Das Schweigen der Mutter zur wahren Vaterschaft erzeugt in einem solchen Fall drei Geschädigte, deren Grundrecht nach Artikel 2 GG und Artikel 6 GG verletzt wurde: Den Scheinvater, der über Jahre ungerechtfertigt Unterhalt für ein Kind zahlt, das er für sein eigenes hält; den biologischen Vater, der von seinem Kind keine Kenntnis hat, somit am Leben seines Kindes keinen Anteil haben kann und sich ggf. mit erheblichen Regressforderungen konfrontiert sieht; das Kind, das erst spät die Identität seines biologischen Vaters erfährt.
Diesen Geschädigten steht das Grundrecht der Mutter auf Schutz ihrer Privatsphäre gegenüber, welches so hoch eingestuft wird, dass die Rechte des biologischen Vaters und des Scheinvaters weitgehend dahinter zurücktreten sollen.
In anderen Rechtsbereichen scheint es dagegen weniger bedenklich zu sein, von der Mutter die Preisgabe ihre möglichen Sexualpartner zu erwarten. So regelt § 1 Absatz 3 UhVorschG „Anspruch auf Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz besteht nicht, wenn der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichnete Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenlebt oder sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind, zu erteilen oder bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des anderen Elternteils mitzuwirken.“ Eine Mutter, die sich weigert bei der Ermittlung des Vaters mitzuwirken wird dazu zwar nicht gezwungen, erhält aber keinen Unterhaltsvorschuss und muss somit die Kosten für den Unterhalt des Kindes selbst tragen.
Sachgerecht wäre eine gesetzliche Regelung, nach der die Mutter im Fall einer festgestellten Scheinvaterschaft dem Scheinvater seinen ihm entstandenen Schaden ersetzen muss. Dies wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da sie nicht gezwungen wäre ihren Sexualpartner zu offenbaren und damit ihr Grundrecht nach Artikel 2 GG nicht berührt wäre. Es würde sich dann um einen reinen finanziellen Anspruch des Scheinvaters gegen die Mutter handeln, der in Anbetracht des Sachverhalts verhältnismäßig erscheint. Der Gesetzentwurf sollte entsprechend überarbeitet und Richtlinien zur Feststellung der Höhe des Anspruchs des Scheinvaters gegen die Mutter entwickelt werden.