Seit einigen Monaten geistern Zahlen von zahlungsunwilligen Elternteilen durch die Presse, die Nachrichten und sogar Regierungserklärungen. Deutschland ist empört: „Wie kann es sein, dass so viele Väter ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen?“
Woher diese Zahlen stammen, wissen nur wenige. „Herausgefunden“ hat diese Tatsachen, so wird gesagt, die Bertelsmann-Studie „Alleinerziehende Unter Druck“ 2016. Nach dieser Studie zahlen nur 25% der Unterhaltspflichtigen Mindestunterhalt für ihre Kinder oder mehr, weitere 25% zahlen weniger als den Mindestunterhalt und 50% zahlen nichts.
Woher stammen diese Zahlen? Die Bertelsmann-Stiftung hat dafür die DIW Studie „Unterhaltsansprüche und deren Wirklichkeit“ aus dem Jahr 2014 herangezogen. Diese Studie kommt zum beschriebenen Ergebnis und basiert auf Daten aus der Erhebung „Familien in Deutschland 2012“ (FID2012). Für die Erhebung dieses Datensatzes wurden im Auftrag des Familienministeriums ca. 1000 Alleinerziehende befragt, wieviel Unterhalt sie für ihre Kinder erhalten. Weder wurden die Unterhaltszahler selbst befragt wie viel sie zahlen, noch wurde überprüft ob die Angaben der Alleinerziehenden stimmen. Auch bei der Zusammenstellung der Befragten wurde nicht wie meist üblich zufällig vorgegangen, sondern ein „Second best“- Verfahren angewendet. Es wurden Teilnehmer befragt, deren Daten vorlagen und die ins Schema der Befragung passten. Diese Details mal bei Seite lassend, kann man zumindest sicher feststellen: die in der Studie von 2016 verwendeten Daten stammen aus dem Jahr 2012.
In Deutschland wird Alleinerziehenden geholfen, die keinen Unterhalt vom anderen Elternteil für die Kinder erhalten. Geregelt ist das im Unterhaltsvorschussgesetz. Hier kommt der Steuerzahler, vertreten durch den Staat, also für den ausfallenden Unterhalt zunächst mal auf und versucht sich dann das Geld vom Unterhaltspflichtigen zurück zu holen. Anspruch auf Unterstützung nach dem UHVorschG haben Kinder, die bei einem Elternteil leben, „der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt“ wenn sie nicht mindestens Unterhalt in Höhe des Unterhaltsvorschusses erhalten. Berechtigt sind also neben Kindern deren getrennt lebender Elternteil nicht zahlen kann oder will auch solche, deren anderer Elternteil gestorben oder unbekannt ist.
2012 betrugen die Ausgaben für den Unterhaltsvorschuss noch 880.490.817€, davon wurden 182.300.370€ wieder eingetrieben. Im Jahre 2015 (Zahlen von 2016 liegen derzeit noch nicht vor) lagen die Ausgaben für den Unterhaltsvorschuss noch bei 842.551.292€ also etwa 5% weniger als 2012. Von diesem Geld wurden 191.321.850€ zurückgezahlt, also fast 5% mehr als noch in 2012. Die Zahl der Alleinerziehenden hat in diesem Zeitraum um etwa 1% zugenommen.
Natürlich sind das immer noch große Zahlen, aber der Trend ist positiv. In den letzten Jahren kommen getrennt lebende Elternteile (das sind zu 90% Väter) ihren Unterhaltsverpflichtungen also immer besser nach. Das für den Unterhaltsvorschuss 2015 insgesamt aufgewendete Geld entsprach etwa den Ausgaben für das Betreuungsgeld und ist deutlich weniger als die Ausgaben für das Elterngeld, die 2015 5.821.898.256€ betrugen.
Ungeachtet dessen stellt sich die Frage, warum getrennte Elternteile den gesetzlich vorgeschriebenen Unterhalt nicht zahlen. Die DIW Studie führt hierzu aus: „So könnte der große Anteil ungedeckter Ansprüche an den Regularien durch die Düsseldorfer Tabelle und an der Rechtsprechung liegen. Mit anderen Worten könnten die tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen etwa durch Absenkung des Selbstbehaltes erhöht werden. Wenn das Einkommen einer unterhaltspflichtigen Person weniger vor Zugriffen geschützt wird, führt dies zwangsläufig zu höheren Zahlungen. Der Erfolg einer solchen Maßnahme ist aber mehr als ungewiss.“ Aus der „Drucksache 18/1199“ der Bundesregierung aus dem Jahr 2014 geht hervor, dass der Unterhaltsvorschuss eben nicht grundsätzlich als Vorschuss erbracht wird, sondern auch als Ausfallleistung, wenn das Kind keinen Anspruch auf Unterhalt hat. Potentielle Gründe wurden oben bereits angeführt. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der Unterhaltspflichtige schlicht nicht zahlungsfähig ist. „Daneben gibt es Fälle, in denen ein Unterhaltsanspruch besteht und nach § 7 UhVorschG auf das Land übergegangen ist, dieser aber nicht vollstreckt werden kann, weil tatsächlich kein Einkommen oder Vermögen vorhanden ist, in das vollstreckt werden könnte. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn Leistungsfähigkeit aufgrund von fiktivem Einkommen des Unterhaltsschuldners angenommen wurde.“ Hieraus ergibt sich die Formel:
Ein auf fiktivem Einkommen basierender Anspruch, führt häufig zu fiktiven Unterhaltszahlungen.
Zusammenfassend kann man sagen, die Aussage 50% aller Unterhaltspflichtigen würden sich um den Unterhalt drücken ist sachlich falsch und basiert auf nur bedingt zuverlässig erhoben und zudem veralteten Zahlen. Eine Plausibilitätsüberprüfung mit der tatsächlichen Entwicklung der Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz legt nahe, dass die Situation bereits heute deutlich anders ist, als sie dargestellt wird. Die Unterhaltspflichtigen, die Unterhalt leisten können, tun dies in den meisten Fällen auch.
Die derzeit betriebene pauschale Verurteilung von Unterhaltspflichtigen geht völlig an der Realität vorbei. Es ist an der Zeit die ganze Diskussion zu versachlichen und lösungsorientiert zu führen. Vor allem wird zunächst eine aktuelle Zahlenbasis benötigt und auch die Situation von Unterhaltszahlern muss untersucht werden. Diskussionen über „Rabenväter“, denen man den Führerschein entziehen oder Sozialstunden auferlegen sollte und bei denen man härter durchgreifen muss um das als Unterhaltsvorschuss gezahlte Geld wieder einzutreiben, helfen niemandem.