Viel versprochen – wenig gehalten

Ein Gastbeitrag von Hendrik Gerstung

Vaterschaftsfreistellung? Kindergrundsicherung? Dynamisierung des Elterngelds? Große Ankündigungen im Koalitionsvertrag, aber nichts passiert. Worauf die Ampel die knapp 12 Millionen Familien in Deutschland noch so alles warten lässt.

Die Vaterschaftsfreistellung

Hier erstaunt nicht nur, dass die Ampel gegen EU-Recht verstößt, sondern auch mit welcher Begründung die erneute Verzögerung gerechtfertigt wurde. Die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie hätte eigentlich bis August 2022 in nationales Recht umgesetzt werden müssen, inklusive Einführung einer Vaterschaftsfreistellung (Artikel 4 der Richtlinie). Wegen der Verzögerung läuft bereits ein Verfahren der EU-Kommission gegen Deutschland.

Auch der Koalitionsvertrag sieht die Vaterschaftsfreistellung vor,  aber Ende 2022 äußerte Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „Die zweiwöchige Freistellung nach der Geburt kommt, nicht mehr in diesem Jahr, aber in 2024“.

Oha, 2024 erst! Aber warum? Weil die wirtschaftliche Lage vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen derzeit schwierig sei, wolle Paus “dieses wichtige Vorhaben im nächsten Jahr aufs Gleis setzen”. Zur Erinnerung: Paus ist Familien(!)-Ministerin, nicht Wirtschafts-Ministerin.

Trotzdem natürlich gut, dass die Väter nicht 2(!) Wochen wegen des Neugeborenen fehlen, sondern in dieser Zeit die Wirtschaft am Laufen halten. Wäre sonst sicher dramatisch geworden.

Die Kindergrundsicherung

Gerade ganz aktuelles Thema, weil – upsi! – man wohl vergessen hat, die Kosten dafür in der Haushaltsplanung zu berücksichtigen. „Wollen wir bisherige finanzielle Unterstützungen wie Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder (…) sowie den Kinderzuschlag in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung bündeln“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag.

Hier gab’s wohl ein Missverständnis, denn die FDP bezieht sich auf das Wort „bündeln“ = alle bisherigen Leistungen, aber zusammengefasst in einer Zahlung. Die Grünen dachten offenbar an eine Erhöhung der Leistung – was im Koalitionsvertrag aber mit keinem Wort erwähnt wird. Jedenfalls: Die Kindergrundsicherung soll mittelfristig elf Milliarden Euro kosten, das hat Paus nun errechnet. Die Finanzierung sei noch nicht geklärt, weswegen vergangene Woche vielfach die Headline „Lindner blockiert Kindergrundsicherung“ zu lesen war.

Wann soll sie denn dann kommen, falls sie kommt, die Kindergrundsicherung? Gesetzesentwurf im Sommer 2023, für 2025 (im Wahljahr also, achwas!) plant die Ampel die Einführung. Paus hat die lange Dauer mit der Größe des Projekts erklärt – Finanzierung bitte noch mitdenken!

Das Elterngeld

Vorgesehen sind hier gleich mehrere Verbesserungen für Familien – gemein ist ihnen allen eins: bisher wurde keine umgesetzt. Schauen wir uns die wirkungsvollsten genauer an.

Zum einen sollen die Partnermonate beim Elterngeld um einen Monat erweitert werden. Bisher sind’s 12+2, dann sollen es 11+3 (oder 12+3?) sein – das könnte helfen, dass mehr Väter länger als die bisherigen zwei Monate bezahlte Elternzeit nehmen. Worauf wartet man hier?

Zum anderen soll der Basis- und Höchstbetrag des Elterngelds endlich dynamisiert werden. Endlich, weil Basis- und Höchstbetrag tatsächlich seit Einführung 2007, also seit 16 Jahren völlig unverändert sind. (ja, hätten durchaus auch die Vorgänger-Regierungen bemerken können)

Das Elterngeld als so genannte „Lohnersatzleistung“ orientiert sich nicht am Lohn, sondern ignoriert jegliche Lohnentwicklung der vergangenen 15 (!) Jahre völlig – wie absurd ist das bitte? Eine Dynamisierung des Elterngelds ist also absolut richtig und längst überfällig, insbesondere angesichts der aktuellen Inflation. Wann das passiert? Dazu Schweigen – während Monat um Monat mit zu wenig Elterngeld für jährlich etwa 700.000 Eltern (Geburten in Deutschland) vergehen.

Diskriminierungsfreie Förderung von Kinderwunschbehandlungen

Weiter in unserem Ritt durch den Status quo der familienpolitischen Vorhaben der Ampel – nächster Halt: diskriminierungsfreie Förderung von Kinderwunschbehandlungen. „Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Die Kosten für eine Kinderwunschbehandlung sind hoch, etwa 5.000€ pro Behandlung. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen davon 50% – allerdings nur bei verheirateten Paaren. Lesbische Paare bekommen gar keine Unterstützung. „Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig sein“, verspricht daher der Koalitionsvertrag der Ampel.

Auf die Umsetzung dieses Vorhabens warten zehntausende ungewollt kinderlose Paare in Deutschland – sie alle müssen ihren Kinderwunsch aufschieben aufgrund der Untätigkeit der Ampel, die diese kleine Änderung in § 27a SGB V bisher nicht vorgenommen hat.

Bonus zur Förderung von Kinderwunschbehandlungen: „Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren.“ Denn seit 2004 sind die Krankenkassen gesetzlich nur noch dazu verpflichtet, die Hälfte der Kosten zu übernehmen.

Das Wechselmodell

Letztes Thema: Etwa 121.000 minderjährige Scheidungskinder gibt es in Deutschland. Die Ampel will „die am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung der Kinder nach der Trennung fördern (…) und dabei insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt stellen.“ Das entspricht dem Wählerwillen, denn eine Umfrage des Bundesfamilienministeriums hat ergeben, dass 77 % der Bevölkerung wollen, dass getrennte Eltern ihre Kinder “gemeinsam betreuen und erziehen” (ergo Wechselmodell) – die Umfrage ist von 2016!

IFD-Allensbach; Getrennt gemeinsam erziehen

Doch was ist mit dem Absatz im Koalitionsvertrag  gemeint? Soll das Wechselmodell gesetzlicher Regelfall nach Trennung werden (wie in vielen anderen Ländern bereits) und z.B. eine Elternvereinbarung nach Trennung verpflichtend? Oder wird das Wechselmodell nur thematisiert?

Tatsächlich scheint hier mal nicht die FDP der Blocker zu sein, sondern sie wird selbst von SPD und Grünen geblockt, die gegen das Wechselmodell sind – so stellt es jedenfalls der FDP-Bundestagsabgeordnete Nico Tippel dar:

„Erfolg der FDP: Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass das Wechselmodell als ein mögliches partnerschaftliches Betreuungsmodell bei der Erziehungs-, sowie Trennungs- und Konfliktberatung thematisiert wird… das gegen größte Widerstände. Mehr war mit SPD und Grünen nicht zu machen.“

https://twitter.com/NicoTippelt/status/1625394000734593024?s=20

Zu Beginn der Ampel lief’s besser: Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr überschrieb eine Pressemitteilung im Januar 2022 mit „Ampel setzt aufs Wechselmodell“. Seitdem ist was passiert? Nichts. Lag aber wohl auch am Ministerinnen-Wechsel nach dem Rücktritt von Anne Spiegel im April 2022. Sie hatte damals tatsächlich einen ersten Vorstoß gewagt und vielen Trennungseltern Hoffnung gemacht. Amts-Nachfolgerin Lisa Paus scheint das Thema nun leider vergessen zu haben.

Schuldfrage hin oder her: Ein Gesetzesentwurf zum Wechselmodell liegt nicht vor, es wird aktuell nicht einmal thematisiert. Darunter leiden etliche Kinder, die den zweiten Elternteil im erzwungenen Residenzmodell oftmals nur alle 14 Tage sehen.

Fazit: Vaterschaftsfreistellung, Elterngeld, Kindergrundsicherung, Wechselmodell, Förderung von Kinderwunschbehandlung. Der Koalitionsvertrag der Ampel hat den Familien viel versprochen – und bisher wenig davon gehalten.

Fairerweise sollen auch die familienpolitischen Erfolge der Ampel nicht unter den Teppich gekehrt werden:

  • Die inflationsbedingte Anhebung des Kindergeld auf 250€
  • die deutliche Erhöhung des Freibetrags für Alleinerziehende (Definition “alleinerziehend” ist aber veraltet)

Es bleibt viel zu tun bis 2025, wenn die Ampel ihre familienpolitischen Versprechen halten möchte. Gibt es einen Zeitplan für diese Maßnahmen?